Kopfputz und Haartracht

Samstag, 1. August 2009

Frisuren

Warum eigentlich kümmern sich so wenig Menschen in der Darstellerszene um Frisuren? Ich meine, es ist doch erstaunlich: jede Menge Schneiderinnen versuchen sich mehr oder weniger erfolgreich als Gewandschneyderinnen, bei der Kleidung wird liebevoll auf jedes einzelne Detail gesehen, und es gibt immer jemanden, der es geschafft hat, die Ausstattung nicht nur irgendwie hinzukloppen, sondern tatsächlich etwas nach bestem Wissen, Fundlage und handwerklichen Kenntnissen so nah wie möglich am Original, stimmig und funktioierend, herzustellen.

Bei Frisuren ist das ganz anders. Ich spreche jetzt vor allem von Frauenfrisuren, bei Männern enthalte ich mich erst mal aller Kommentare. Keine wissenschaftlichen Publikationen über die genaue Konstruktion einer Frisur (oder? was ich kenne, sind nur Randbemerkungen in allgemeinen Tracht-der-soundso-Zeit-Artikeln...), keine ausgebildete Friseurin, die sich mal Gedanken gemacht hat, nur sehr selten trifft man Gruppen an, die wenigstens ansatzweise mal Dinge überdenken und ausprobieren (eher übrigens in der Römer-/Germanen-Szene als im Mittelalter).

Statt dessen allenthalben wallende Barbarinnenmähnen, Fantasy-Prinzesschenfrisuren, Kopftuch-drum-passt-scho oder - im allerbesten Fall - ein "sieht ungefähr aus wie auf der Abbildung".... letzteres ist natürlich legitim, würde aber im Fall Bekleidung schon einige kritische Fragen nach sich ziehen....

Um so schöner, wenn sich mal jemand richtig Gedanken macht und dann eine plausible Rekonstruktion einer hochmittelalterlichen Frisur aus Köln zaubert:

Kopf mit Zopffrisur im Profil mit Haenden, die die Zoepfe festnähen
(klick für größeres Bild)

Die Zöpfe werden übrigens, ja, festgenäht!

(Ich hab nur den Kopf hingehalten, die Künstlerin ist Sonja von Tempora Nostra)

Dienstag, 22. April 2008

Tanz

Lang nicht mehr gebloggt. Nun gut, hier was Neues:
Seit letzten Sommer tanze ich. Nein, nicht frühmittelalterlichen Tanz, denn den hat es zwar bestimmt gegeben, aber darüber weiß man leider nicht genug. Sondern Tänze aus dem 15. bis 17. Jahrhundert, das meiste also Renaissancetänze.

Dass das großen Spaß macht, kann man auf diesen Bildern hier sehen (geschossen von Herrn Borre auf dem Mittelaltermarkt in Berlin-Schönholz am 20. April 2008):
Tanz Upon a Summers day
Upon a Summer's Day, Hauptprobe

Pferdebranle
Fröhlich hüpfende Pferdchen: die Branle des Chevaux

Allemande
Du tanzen deutsch? Die Allemande!

Chapeloise
Wehende Gewänder bei der Chapeloise

Und hier noch eine Impression eines Experiments: ich hab mich an einer Frisur versucht, die den Abbildungen aus der Wikingerzeit ähnlich sieht. Nennen wir es einen Wikingerknoten - hier in Bewegung durch den Tanz:
Haarknoten und Pferdeschwanz Wikinger

(hier zum Vergleich eine Abbildung)

Mittwoch, 22. Juni 2005

Kopfputz und Haartracht Teil 2

Nachdem wir im ersten Teil einfach mal festgestellt haben, dass Kopfbedeckungen zu allen Zeiten an allen Orten getragen wurden, weil sie einfach praktisch sind, kommen wir nun zu einem weit komplizierteren Thema:

Kapitel 2: Die Kopfbedekcung der Frau im Lichte von Sitte, Moral und Religion

Für Kleidung und Kopfbedeckung ist nicht nur die Witterung, sondern auch das Moralverständnis, die Überlieferung und die Religion von Bedeutung.

Gängig ist dabei folgendes Bild:
Eine unverheiratete Frau (Mädchen / Jungfrau) trägt ihr Haar offen oder in Zöpfen, manchmal mit einem Kranz, aber im Prinzip unbedeckt. Eine verheiratete Frau bedeckt ihr Haar, zu manchen Zeiten vollständig inklusive Hals, Kinn und Dekolleté, zu anderen Zeiten wenigstens symbolisch mit Häubchen oder Hut. Dieses Bild herrscht in allen Teilen Europas vor, sowohl in der ländlichen Tracht als auch in der städtischen Mode, bis tief ins 20. Jahrhundert hinein.

Ja, aber seit wann? Und wo kommt das her? Nach meinem Eindruck kann man diese Regeln für das Hoch- und Spätmittelalter wohl tatsächlich anwenden (die Kopfbedeckungen der Damen in Spätmittelalter und früher Neuzeit stehen zum Teil einem iranischen Tschador in nichts nach). Aber galt das auch im heidnischen Europa?

Auf römischen Grabsteinen werden oft Familien dargestellt, dabei sieht man häufig Ehefrauen mit einem Tuch über den Kopf. Andererseits kommen z. B. die Porträtbüsten römischer Kaiserinnen eigentlich immer ohne Kopftuch daher.
Auf den germanisch-keltisch-römischen Matronensteinen aus dem Rheinland wiederum, die die weibliche Trias Jungfrau - Mutter - alte Frau darstellen, tragen zwei der drei Figuren eine große Haube, die dritte nicht - sie wird daher immer als die Jungfrau identifiziert.

Daraus schließe ich: In der Antike war die Sitte der Kopfbedeckung für erwachsene Frauen gebräuchlich, von einer Pflicht zur Bedeckung der Haare ist mir hingegen nichts bekannt.

Kommen wir nun zur Religion. Die wichtigste Quelle für den Kopftuchzwang findet sich - nein, nicht im Koran, sondern in der Bibel:
Wenn ein Mann betet ... und dabei sein Haupt bedeckt hat, entehrt er sein Haupt. Eine Frau aber entehrt ihr Haupt, wenn sie betet ... und dabei ihr Haupt nicht verhüllt. ... Wenn eine Frau kein Kopftuch trägt, soll sie sich doch gleich die Haare abschneiden lassen. Ist es aber für eine Frau eine Schande, sich die Haare abschneiden oder sich kahlscheren zu lassen, dann soll sie sich auch verhüllen. Der Mann darf sein Haupt nicht verhüllen, weil er Abbild und Abglanz Gottes ist; die Frau aber ist der Abglanz des Mannes. ... Deswegen soll die Frau mit Rücksicht auf die Engel das Zeichen ihrer Vollmacht auf dem Kopf tragen.
(1. Brief des Paulus an die Korinther 11, 4-10, Einheitsübersetzung)


Nebenbei bemerkt, ist der Koran zumindest wenn man ihn wörtlich nimmt, nicht so präzise: ein Kopftuch wird nur bei den Frauen des Propheten erwähnt (Sure 33, 53), die Frauen der Gläubigen sollen lediglich ihre "Scham" bzw. ihre Brust verhüllen (Sure 24, 31; in meiner bestimmt nicht progressiven englischsprachigen saudi-arabischen Ausgabe lautet das Wort "bosom").

Und was lernen wir nun daraus, liebe Gemeinde? Vielleicht einiges über den interreligiösen Austausch (*bösegrins*). Für das hier eigentlich diskutierte Thema lernen wir: Wer eine christliche Frühmi-Frau darstellen will, sollte sich, um nicht der ewigen Verdammnis anheimzufallen, in der Regel das Haupt bedecken. Eine vergleichbare religiöse Pflicht ist für eine heidnische Frau des Frühmittelalters nicht bekannt.

Demnächst in diesem Theater: Teil 3: Anhaltspunkte aus den Quellen für Kopfputz und Haartracht des 10. Jahrhunderts, und Teil 4: Die Slawin und der Schläfenring!

Mittwoch, 15. Juni 2005

Kopfputz und Haartracht, Teil I

Dieses Thema trage ich schon länger mit mr herum und plante auch schon länger, darüber zu bloggen: Was trug die Wikingerin des 10 Jahrhunderts auf dem Kopf? Nun, auch inspiriert von Borres Hörnerhelm-Artikel, fang ich einfach mal an.

Auf Märkten sieht man viele Frauen, die ihr Haar einfach offen tragen, und viele Frauen, die Kopftuch tragen. Kopftuch?

Kapitel 1: Vom Nutzen der Kopfbedeckung

Zunächst einmal muss festgehalten werden: Kopfbedeckungen - also Kopftücher, Hüte, Hauben, Kappen und Mützen - sind praktisch. Sie wurden und werden zu allen Zeiten und an allen Orten getragen, zum Schutz gegen Regen, Kälte, Sonnenstich und Schmutz (und Hiebe, soweit es um Helme geht, die lassen wir jetzt aber bei den Frauen erst mal außen vor). Gerade bei den üblichen Arbeiten einer Haus- und Hof-Frau (also Hausarbeit, Handwerk, Ackerbau, Viehhaltung) empfiehlt es sich oft, die Haare einzupacken, damit z. B. keine Haare ins Essen fallen und andererseits die Haare nicht schmutzig werden, z. B. beim Kuhmelken.

In meiner Kindheit war eine Frau mit Kopftuch nicht mit "Muslima" assoziiert (so was gabs bei uns in der Provinz damals noch nicht), sondern mit "Bäuerin" und "Putzfrau" - was oft gleichbedeutend war, denn die Nebenerwerbslandwirtfrauen im Umland meiner Heimatstadt melkten morgens die Kühe und sammelten die Eier ein, um danach in Stadthaushalte putzen zu gehen, und die Stadtfrauen kauften ihnen dann gleich die Eier ab.

Was lernen wir daraus für die heidnische Wikingerin um 950? Nicht viel. Ein in der heute üblichen Weise (unter dem Kinn oder im Nacken) geknotetes Kopftuch ist archäologisch und in alten Quellen meines Wissens nicht nachgewiesen. Ich halte es aber für so wahrscheinlich, dass ich das Tragen von Kopftüchern nicht als schlimmen Anachronismus in Borres Sinn ansehen würde.

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John
Ive learn some excellent stuff here. Certainly worth...
Smithk712 (Gast) - 2014/07/03 12:56
Tolle Infos
Danke für die tollen Infos. Da weiß ich ja, auf was...
Isabel (Gast) - 2013/05/15 11:15
ooops
das erklärt einiges... mich nerven die verwahrlosten...
irka (Gast) - 2012/04/11 21:48
Mensch muss immer nachschauen
Es gibt wohl wirklich keine Benachrichtigungen von...
comusywa - 2012/03/21 15:11
Reise nach Rom - Essentials
So, hier noch einige wichtige zusammenfassende Bemerkungen...
lunula - 2012/03/18 15:59

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